Erfolgreiche Einzelhändler setzen vor allem auf profitables Wachstum. Ihnen gelingt dieses Wachstum weit besser als der Konkurrenz. In den letzten drei Jahren lag beispielsweise das durchschnittliche Umsatzwachstum im Textileinzelhandel bei nur etwa einem Prozent. Zalando schaffte im gleichen Zeitraum im Mittel den 37-fache Wert. Branchenführern gelingt profitables Wachstum insbesondere durch erfolgreiche strategische Planung mit strenger Werthebel- und ROI-Logik.
Wie können nun Einzelhändler, ob traditionell in der Fläche, im Multi-/Omni-Channel oder im Pure-Play den grundlegenden Herausforderungen begegnen, die die Nachhaltigkeit ihres Geschäftsmodells in Frage stellen? In diesem Beitrag diskutieren wir, wie man von erfolgreichen Retailern wie Zalando profitables, „gesundes“ Wachstum lernen kann und das Operativgeschäft auf insgesamt professionellere Beine stellt.
In den letzten Jahren hat der Strukturwandel im deutschen Einzelhandel viele Opfer gefordert. Ob Insolvenzen wie bei Zero, Steilmann und Strauss Innovation oder prominente Problemfälle, wie Gerry Weber, HugoBoss, Esprit und Strenesse: Viele Unternehmen haben offenbar Probleme, ihre Strategien für profitables Wachstum erfolgreich umzusetzen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie reichen von einer offenbar zu aggressiven Expansion in der Fläche und gleichzeitigen Vernachlässigung des Großhandels wie bei Gerry Weber bis zur Gefangenschaft in der Preisposition wie bei Hugo Boss.
Gerade im Modebereich deutet die sinkende durchschnittliche EBIT-Margen bei top notierten Händlern an, dass die Wertsteigerungen und Umsatzzuwächse der letzten Jahre in erster Linie das Ergebnis wachsender Retailflächen und in Eigenregie bewirtschafteter Shops sowie Flagship-Stores sind. Gleichzeitig stagniert jedoch der Großhandelsumsatz der Hersteller seit einiger Zeit. Angesichts des wachsenden Online-/PurePlay-Segments entpuppt sich die Fokussierung auf den stationären Handel immer mehr als eine kurzsichtige Wachstumsstrategie. Die kurz- bis mittelfristige Prognose deutet ebenso wenig auf eine Erholung hin. Im Ergebnis beobachten wir die sich häufenden Liquiditätskrisen vor allem bei traditionellen Händlern, die oft nur halbherzig mittels Cash-Management und Umschuldungsmaßnahmen reagieren.
Vereinfacht gibt es drei Hebel, die jeder Händler im Auge haben sollte, um profitabel zu wachsen:
- Bestand an aktiven Kunden erhöhen
- Ertrag je Kunde steigern (share of wallet)
- Selektive Geschäftserweiterungen in Bezug auf Internationalisierung, Kategorien und Handelsformat/-plattform
1. Bestand an aktiven Kunden erhöhen
Generell ist es für jeden Händler notwendig, möglichst effizient relevante Reichweite zu schaffen und Kunden anzuziehen (zur Filiale, Website oder App). Wesentliche Treiber der hierfür notwendigen, überlegenen Customer Experience sind neben effizienter Kundenzuführung (reach and attract), Fähigkeit zur Inspiration (discover and find), dem passenden Angebot (offer and choose) auch die Güte der Infrastruktur (deliver and serve). Aus all diesen Dimensionen ergibt sich in Summe eine Magnetkraft für aktive Kunden.
Reichweite zu begründen und neue Kunden anzusprechen und zu gewinnen ist jedoch teuer. Im Zeitraum von 2013-1015 gelang Asos und Zalando im Schnitt eine Umsatzsteigerung aufgrund einer größeren Aktivkundenbasis von 27 beziehungsweise 25 Prozent. Für die Optimierung sämtlicher Marketing-Ausgaben in allen Kanäle nutzen diese Branchenführer eine datengetriebene Strategie mit einer strikten ROI-Logik. Hierin sehen Experten vor allem im stationären Einzelhandel aber auch im Multi-/Omnichannel-Bereich noch Nachholbedarf. Die großen Pure Player nutzen Technologie und predicitve analytics, um bessere Lösungen für die Kunden zu identifizieren und die Effizienz in allen Prozessschritten wesentlich nach vorne zu treiben.
Konkret gibt es drei Möglichkeiten, die Erhöhung des aktiven Kundenbestands voranzutreiben: Neukundengewinnung, die Verlängerung der Kundenlebensdauer und die Aktivierung inaktiver Kunden. Bezogen auf die Neukundengewinnung hatten wir an anderer Stelle auf die Bedeutung der Kundenakquisitionskosten (CAC) hingewiesen, die maximal dem erwarteten Customer Lifetime Value innerhalb eines 24-Monats-Zeitraums entsprechen sollten. Denn hält man die Vorgabe ein, dass die Investitionen in einen Kunden zu jedem Zeitpunkt kleiner als der künftige Kundenwert über einen 2-Jahre-Horizont sein sollten, bleibt der Kunde stets im profitablen Bereich. Mit predicitve analytics lässt sich der künftige Kundenlebenswert (pCLV = predictive Customer Lifetime Value) zu jedem Zeitpunkt der Kundenbeziehung hochgenau bestimmen. Analog zur Neukundengewinnung sollten sich sämtliche Investitionen in die Verlängerung der Kundenlebensdauer und Kundenrückgewinnung ebenfalls an der Höhe des pCLV orientieren.
Erfolgreiche Händler steigern die Effizienz auch in der Orchestrierung der Marketingkanäle. Für die Bildung von Awareness haben sich im Handel insbesondere die Kanäle TV, Radio, Display Ads & Video, Anzeigen sowie PR und Social Media bewährt. Bei der Akquisition und -bindung von Kunden setzt man eher auf Display Ads & Retargeting sowie auf die anderen Performancekanäle Affiliate, SEA und SEO. Professionelle Online-Händler setzen auf fortgeschrittenes RealTimeBidding und Programmatic Buying, was den automatisierten auktionsbasierten Kauf von Werbefläche erlaubt. Bei allem Fortschritt eignen sich solche Ansätze, wenn das Retargeting oder analog hierzu aktivierende Coupons im stationären Bereich mit der Customer Relationship Management Strategie und der Bestandskunden-Kommunikation abgestimmt sind. Im stationären Handel ist es immer noch die analoge Kundenkommunikation, welche große Effizienzsteigerungspotenziale im Hinblick auf Kostensenkung (Digitalisierung), Minimierung der Streuverluste (predictive Targeting), bessere Orchestrierung der Kanäle (Attribution) und Einbeziehung des predictive Customer Lifetime Value besitzt.
2. Ertrag je Kunde steigern (share of wallet)
Für jedes Geschäftsmodell im Handel ist es wichtig, sich möglichst schnell vom Neukundenmodus zum Bestandskundenmodus weiter zu entwickeln. Das bedeutet, den weitaus größten Teil der Bestellungen oder Einkäufe mit Bestandskunden verbuchen zu können. Der Vorteil von Bestandskunden liegt in den vergleichsweise wesentlich geringeren notwendigen Marketingaufwendungen und der damit verbundenen wesentlich höheren Profitabilität. Ein hoher Anteil treuer Bestandskunden macht das Unternehmen zudem robuster gegenüber einer Reihe von Einflüssen. Bei Zalando betrug das Umsatzwachstum durch Mehrumsätze bei den Aktivkunden in den letzten drei Jahren rund 12 Prozent, bei Amazon lag dieser Wert bei rund 9 Prozent.
Für den Bereich Engagement und Loyalität kommen über alle Handelsformate hinweg generell personalisiertes Direktmarketing, Social Media sowie Magazine bzw. Magaloge an hochprofitable Top-Kunden in Frage. Überlegenes Re-engagieren von Kunden funktioniert nur mit den relevantesten Angeboten zu den wichtigsten Zeitpunkten für die jeweiligen Kundensegmente. Hierfür ist tiefes Verständnis der Kundenstruktur (beispielsweise mittels predictive loyalty segments) und von Effekten erforderlich, die durch die verschiedenen Marketing und Verkaufsförderungsmaßnahmen sowie vielfältige Trends hervorgerufen werden. Bei Spielern wie Zalando und Co. sind 50 Mitarbeitern und mehr mit derartigen Themen beschäftigt. Traditionelle Händler tuen sich in diesem Zusammenhang schwer, sich vom Prinzip „Anstoß sucht Kunde“ zum individuelleren Ansatz „Kunde sucht passenden Anstoß“ weiterzuentwickeln. Aber gerade hier liefern predictive Analytics wichtige Erkenntnisse über (Werbe-)Ursache und Wirkung sowie das Verständnis der wirksamsten Maßnahmen, um individuelle Kunden über die Phasen ihres Lebenszyklus hinweg effizient zu entwickeln. Nur mit derartigen Ansätzen und Prognosen sind personalisierte Kommunikation und individuell abgestimmte Angebote und Anreize für die weitere Kundenbindung mit angemessenem Mitteleinsatz zu schaffen, egal ob durch Direct-Mailing-, eMail-Formate oder Apps und deren Push-Benachrichtigungen. Die Treue von absoluten Top-Kunden ist aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für den Händlern von herausragender Bedeutung. Aus diesem Grunde hat sich neben überlegener Aktivierung und Bindung der bevorzugte Service dieser Klientel, etwa durch einen frühen Zugang zu Aktionen und Abverkäufen, bewährt.
3. Selektive Geschäftserweiterungen in Bezug auf Internationalisierung, Kategorien und Handelsformat/-plattform)
Die Expansion des Geschäfts kann entlang verschiedenen Kategorien und Regionen geschehen sowie durch strukturelle Verbesserungen der Plattform erfolgen. Der Erfolg der Expansion in neue Regionen ergibt sich aus dem erfolgreichen Erschließen des Marktpotentials gegenüber den potenziellen Marktrisiken. Bei der Bestimmung des Marktpotenzials helfen predictive analytics auf Basis der Kenntnis des Kaufverhaltens im Kundenstamm den künftigen durchschnittlichen Bedarf potenzieller Kunden – zum Beispiel in noch nicht durchdrungenen Einzugsgebieten – hochgenau zu bestimmen. Zu den wesentlichen Marktrisiken zählen im Handel insbesondere die strukturellen Barrieren, wie etwa die Fulfillmentkosten. Diese werden auch aufgrund durch länderspezifische Retourenquoten getrieben, die sich ebenfalls sehr gut mittels fortgeschrittener Analysen vorhersehen lassen.
Durch Hinzufügen neuer, i.d.R. benachbarter Kategorien von Produkten kann ebenfalls der Share of Wallet gesteigert werden. Predictive Analytics ermöglichen die Optimierung der Kategorie und entsprechender Vermarktungsstrategien, Preisgestaltung und Promotions und – vielleicht am wichtigsten – eine transparente, gemeinsame Planung mit den Lieferanten.
Was die Modernisierung der Formate angeht, so funktioniert eine bloße Expansion in der Fläche durch neue Filialen schon lange nicht mehr. Inzwischen werden im stationären Bereich Format-Experimente insbesondere im Service Bereich unternommen, um sich gegenüber dem Online-Handel abzugrenzen. Jedoch tun sich insbesondere stationäre Händler schwer, ihre Kunden und deren Kaufgewohnheiten kennenzulernen und dauerhaft mit ihnen in Kommunikation zu treten. Dies ist jedoch der erste Schritt für viele weiteren Verbesserungen. Im Online-Handel steht der Zwang zur technischen Weiterentwicklung der Commerce-Plattform im Vordergrund, der die Händler immer stärker zu Tech-Anbietern werden lässt. An erster Stelle ist hier die bloße Auffindbarkeit der Artikel zu nennen. (OnSite-) Search Optimization spielt deswegen eine große Rolle. Für gute Such- und Rankingergebnisse sind entsprechende Produktbeschreibungen mit passenden Attributen und Synonymen entscheidend. Spezielle Sortieralgorithmen helfen in diesem Bereich, die Suchergebnisse dem lokalen Geschmack und den Kundenvorlieben anzupassen. Recommendation (oder next best offer) engines eignen sich grundsätzlich, die Personalisierung des Shopping-Erlebnis voranzutreiben. Ob in diesem Zusammenhang oft nachgefragte, ähnliche oder hierzu komplementäre Produkte empfohlen werden, sämtliche Ansätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit Cross-Selling erfolgreich zu betreiben.
„Das meiste Geld im Handel spart man beim Einkauf.“ Dieser Binsenweisheit wird heutzutage durch einen optimierten Einkaufs-Planungsprozess entsprochen. Hierfür ist die Entwicklung eines Demand-Modells notwendig, das hochgenau die erwartete Nachfrage nach einer bestimmten Kategorie vorhersagen kann. Dieses hilft auch im Saison-Management beim Re-Ordering bzw. bei der Beschaffung zusätzlicher Schnelldrehern. Demand-Modelle ermöglichen eine intelligentere Nachbestellung und sversetzen Händler in die Lage, das betriebswirtschaftliche Risiko zu minimieren und flexibler auf saisonale Trends innerhalb der Saison zu reagieren. Auch im End-of-Saison-Management helfen predicitve analytics, die Effekte von Rabattaktionen zu simulieren und eine für alle Parteien (Händler und Lieferant) günstigere Risikoteilung vorzunehmen.
Im Handel ist die flexible Preisgestaltung ein sehr potentes Werkzeug für profitables Wachstum. Gerade im Textil und Schuheinzelhandel steuert man über den Preis die Lagerumschlagziele für sämtliche Artikel, um gerade das finanzielle Risiko von Artikeln mit geringem Lagerumschlag zu verringern. Es kommt darauf an, zu Beginn der Saison möglichst mit lokalen passenden Verkaufspreisen für die einzelnen Artikel zu beginnen und den Preis im Verlauf der Saison basierend auf den beobachteten Wetterdaten, dem Bestandsrisiko und den finanziellen Zielen des Unternehmens optimal anzupassen. Hierfür müssen auf Produktebene robuste Absatzprognosen entwickelt werden, die unter Berücksichtigung spezifischer Preiselastizitäten Basis für nachfolgende Preisreduzierungen sind und so die Optimierung des Gesamtbetriebsergebnis ermöglichen. Beim Abverkauf setzen einige Händler auf spezielle Clearance Kanäle für zeitlich befristete Rabattaktionen auf veraltete oder leicht beschädigte Produkte, um die Preishygiene in der Saison nicht noch zusätzlich zu gefährden.
Retouren sind zwar ein notwendiger aber aufgrund der hohen Kosten wichtiger Bestandteil des Handelgeschäftsmodells. Zur Vermeidung hoher Retourenquoten kommt es neben einem generell notwendigen strengen Qualitätssicherungsprozesses im Onlinehandel vor allem auf überlegene Produktpräsentation einschließlich verständlicher Sizing-Informationen und Empfehlungen an. Mit predictive analytics können Händler prognostizieren, ob ein Kunde einen Artikel tatsächlich auch behalten wird.
Zusammenfassung: Händler sollten ständig bestrebt sein, Analytics und Technologie zu benutzen, ihren Shop für ihre Kunden zu optimieren und profitables Wachstum zu ermöglichen. Hierzu ist das Sammeln großer Mengen an Daten und die Gewinnung von Erkenntnissen in Bezug auf künftigen Bedarf, optimale Preise und Ansätze zur Personalisierung des Angebots unabdingbar. Insbesondere bei den Marketingausgaben können durch einen analytischen und ROI-bezogenen Ansatz, der sich auf den kumulierten Ergebnisbeitrag jedes einzelnen Kunden über seine Lebenszeit konzentriert, Effizienz- und Ergebnissprünge erzielt werden.